Der letzte Schrei im Schloss

Der Tagesspiegel, 05. November 2006


Der letzte Schrei im Schloss


Josefine Edle von Krepl sammelt seit 48 Jahren leidenschaftlich Kleider und Accessoires des 20. Jahrhunderts. Jetzt ging ihr größter Wunsch in Erfüllung. Sie eröffnete im Schloss Meyenburg ein Modemuseum.


VON NANA HEYMANN
Meyenburg – Als Marie Willebald 1907 in der evangelischen Kirche im brandenburgischen Meyenburg vor den Traualtar trat, trug sie ein aufwendig gearbeitetes Hochzeitskleid aus Atlasseide und Kunstspitze. Es hatte eine kleine Schleppe, war am schulterfreien Ausschnitt auffällig gerafft, und weil die junge Frau mit den blonden Haaren und dem ernsten, schmalen Gesicht ihren Bräutigam Otto Schulz darin so verzückte, hielt die Verbindung mit dem Lehrer und Schulrektor ein Leben lang. Ein Jahrhundert später hängt der Traum in Weiß auf einer Kleiderpuppe im Keller des Schlosses Meyenburg und erfüllt einer anderen Frau einen großen Traum: Josefine Edle von Krepl. Die passionierte Kleidersammlerin hat im Juni diesen Jahres hier, gut anderthalb Autostunden von Berlin entfernt, ihr eigenes Modemuseum eröffnet. Auf 1000 Quadratmetern zeigt sie hunderte Kleidern, Schuhe, Ketten, Capes, Dessous und Handtaschen aus dem 20. Jahrhundert. Ihr Besitz gehört zu einer der weltweit größten Privatsammlung historischer Kleiderstücke und Accessoires. Der letzte Schrei von gestern.


„Schon als Jugendliche habe ich mit dem Sammeln begonnen. Mein Ziel war es, eines Tages ein eigenes Museum zu eröffnen“, sagt Josefine Edle von Krepl. An einem sonnigen Herbstnachmittag sitzt die Frau mit dem resoluten Auftreten im Empfangszimmer in der zweiten Etage des Schlosses. Wer neben ihr auf dem blauen Biedermeiersofa Platz nimmt und die elegant geschwungenen Art-Deco-Kommoden sieht, der ahnt: Diese Sammelleidenschaft ist nicht nur auf Kleidungsstücke beschränkt.


„Ich wollte ein Museum schaffen mir einer besonderen Atmosphäre, in der sich auch Laien beim Gang durch die Jahrzehnten wohlfühlen“, sagt Josefine Edle von Krepl. Deshalb hat sie 351 Kleider zu Gruppen arrangiert, zum Beispiel vor Nierentischen, historischen Werbeplakaten oder großen Radioapparaten aus den 50er Jahren. Schautafeln geben einen Abriss der wichtigsten Ereignisse der jeweiligen Dekade. Dazu läuft über Lautsprecher Musik. Josefine Edle von Krepl will das Flair vermitteln, von dem das jeweilige Jahrzehnt beseelt war.

 

Man merkt, dass es wahre Leidenschaft ist, die sie antreibt. Der Vater, der im Zweiten Weltkrieg dienstverpflichtet wurde und gemeinsam mit der Mutter aus Österreich nach Deutschland kam, hatte für die Tochter ein Medizinstudium vorgesehen, der Studienplatz an der Humboldt-Uni war schon sicher – „da habe ich mich verweigert. Ich war schon immer unbeirrbar.“ Nach Ende ihres Modestudiums arbeitet von Krepl zunächst als Redakteurin bei der DDR Zeitschrift „Für Dich“, bevor sie 1980 in Friedrichshain die erste private Modeboutique Ost-Berlins eröffnete. Kurz vor dem Fall der Mauer beantragte die Frau mit dem feuerroten Haaren für sich und ihre zwei Söhne die Ausreise.


Es war eine mehrjährige Odyssee, die von Krepl schließlich nach Meyenburg in die brandenburgische Prignitz geführt hat. Sie nahm ihren Anfang am Ludwig-Kirch-Platz in Wilmersdorf. Dort übernahm die Sammlerin 1989 den Antikmodeladen „Falbala“, mit dem sie 1996 an den Kollwitzplatz zog. Schon damals, bemühte sie sich, einen Ort für einen Dauerausstellung zu finden.
Deshalb kam ihr das Angebot der Stadt Meyenburg gerade gelegen: Für das mit EU-Geldern sanierte Schloss sucht die Veraltung einen Betreiber. Und da von Krepl für ihre zahlreichen Modenschauen mit historischen Gewändern und Textilen- Sonderausstellungen bekannt war, meldete sich eines Tages ein Vertreter der Stadt bei ihr.


Seine Idee: Mit dem Renaissance-Schloss einen Ort zu schaffen, an dem Kunst und Kultur zusammenkommen. Josefine Edle von Krepl musste nicht lange überlegen. Ein Jahr lang hat es gedauert, bis sie das Museum eingerichtet, die vielen Objekte aufgearbeitet und präpariert hat. Nun stehen sie hinter dickem Glas, geschützt vor Tageslicht, dessen UV- Stahlen die alten Stoffe ausbleichen könnten. Anders als im Pariser Louvre, wo eine Ausstellung kostbarer Gewänder im Halbdunkeln gezeigt wird, um die Exponate zu schonen, werden die Kleidungsstücke mit speziellen Lampen in Szene gesetzt. „So kommen die einzelnen Details, die Farben und Materialien besser zu Geltung.“


Neben der Dauerausstellung will Josefine Edle von Krepl wechselnde Begleitveranstaltungen auf dem Schloss organisieren. Wie zu Beispiel die Schau mit den Werken der Textilkünstlerin Angelika Hecht-Schneewolf, deren „Polydimensionale Bilder“ zurzeit im Erdgeschoss des Hauses hängen. Für die Museumschefin sind künftig auch Konzerte, Lesungen oder Modeseminare denkbar. „Ich will Kultur rauf aufs Land bringen“, sagt die 62-jährige.


Lediglich ein Zehntel dessen, was die gebürtige Fürstenwalderin im Laufe von 48 Jahren gekauft, aufgestöbert oder geschenkt bekommen hat, konnte sie ausstellen. Der Rest wartet im Lager darauf, irgendwann gezeigt zu werden und eine eigene Geschichte zu erzählen. So wie das hellblaue Kleid im Empire-Stil, das im Modemuseum in einer Gruppe luftiger Sommerkleider zu sehen ist. Auf einer Reise die Schweiz bekam Josefine Edle von Krepl es von Freunden geschenkt. Die hatten das Kleid auf dem Dachboden ihres Hauses gefunden, in einem Koffer der Urgroßmutter, die das Stück 1907 in Berlin gekauft hatte – im damals neu eröffneten KaDeWe, wie das eingenähte Label verrät.